richblog 0015: Kunst & Geld

2012-08-18


Bei allem (unter vielen Aspekten durchaus berechtigtem) Gejammer über die wirtschaftliche Situation von Künstlern in Deutschland – es ist schon schön, beim Frühstück Zeit zum Lesen zu haben; vor allem, wenn die ZEIT eine der bevorzugten Frühstückslektüren ist. Diese Woche wird der aufmerksame Leser allerdings nicht nur mit der gewohnt hohen Qualität von Artikeln und Analysen belohnt – auf Seite 5 stolpert er auch über eine Anzeige.

Einer Anzeige der Deutschen Bank.

Hübsch in Pseudo-Handschrift gesetzt, wird da ein „Deutsche Bank Berater Private Banking” zitiert (schon bei der Berufsbezeichnung ist der Leser froh, dass er selbst sich schlicht Musiker und Autor nennen darf). Der angeblich vierzigjährige „Berater” schreibt jedenfalls angeblich:

Die Kunst ist es, jedes Vermögen mit dem Respekt zu behandeln, als wäre es das eigene.

Ein wieder mal überaus schönes Beispiel, findet der Opa, für den geistigen und moralischen Horizont bzw. Zustand unserer Werbetexter einerseits und der Leute andererseits, die diese für ihre – ähem – Arbeit bezahlen.

Dass einem Werbetexter ein solcher Spruch einfällt, wundert ja nicht wirklich, nach „Geiz ist geil” und „Ich bin doch nicht blöd” und nicht enden wollenden Steigerungen von Superlativen in der Waschmittel-, Zahnpasta- oder Deodorant-Werbung. Aber den Spruch muss doch irgendjemand in der Marketingabteilung seines Auftraggebers passend gefunden haben – mit anderen Worten: man sollte doch meinen, dieser Jemand (wahrscheinlich ein ganzes Konsortium von Entscheidungsträgern) sollte den Text auch gelesen, sich vielleicht sogar über dessen Inhalt Gedanken gemacht haben …?

Die Kunst ist es, jedes Vermögen mit dem Respekt zu behandeln, als wäre es das eigene.

Aber vielleicht hat der Opa ja genau da bereits den nikotingelben Finger in die Wunde gelegt: Gedanken über Inhalte machen? In einem Laden, dessen Hauptgeschäftsgebiet darin liegt, ein bisschen Geld von Vielen in einen Haufen virtuelles Geld zu verwandeln, aus dem dann wiederum unappetitlich hohe reale Gewinne für ein paar Wenige gemacht werden, und sei es mit der Spekulation auf Lebensmittel angesichts wachsender Hunger- und Armutszahlen?

Fehlanzeige, anscheinend.

Die Kunst ist es, jedes Vermögen mit dem Respekt zu behandeln, als wäre es das eigene.

Das lässt der Opa sich zwischen Tee und Zigarette noch mal auf der Zunge zergehen. Und er hofft (wenn auch nur schwach), dass da nicht nur ihm etwas unangenehm aufstößt. Es ist mit dieser – öffentlichen! – Aussage nämlich, nicht nur für den Werbetexter, sondern auch für die Marketingabteilung und damit wohl auch für die Geschäftsleitung des größten, reichsten und mächtigsten deutschen Geldinstituts, ganz offenbar und explizit keine, wie der Laie blauäugig meinen könnte, Selbstverständlichkeit, jedes Vermögen mit Respekt zu behandeln.

Nein, es ist eine Kunst.

Kunst kommt von Können, sagt der Volksmund. Kunst ist 10 Prozent Inspiration und 90 Prozent Transpiration, sagt der Künstler. Und diverse Studien belegen, dass man kein großer Künstler werden kann, wenn man sich auf ein angeborenes Talent verlässt – nein, das Talent muss erkannt und gefördert werden, und dann sind erst mal die 90 Prozent angesagt: Lernen, üben, üben, üben, lernen. Und noch mal üben. Und das ein Leben lang. Einer der anerkannt größten Cellisten der Welt, mir fällt jetzt gerade leider sein Name nicht ein, ist weit über achtzig – und übt immer noch zwei bis vier Stunden am Tag. Jeden Tag.

Wenn also die Behandlung von anvertrautem (!) Vermögen mit Respekt eine Kunst ist – welches Talent muss man dafür mit auf die Welt bringen? Wer erkennt und fördert das? Wie übt man das …?

Bei der nächsten Zigarette lehnt der Opa sich zurück; das Bild des blühenden und summenden Gartens vor ihm verschwimmt, und er sieht einen jungen Banklehrling vor sich …

„Hier hast du zehn Euro”, sagt sein Ausbilder zu ihm. „Geh und bewahr die für mich auf. Oder mach was draus.”

„Hm”, denkt der Azubi. „Natürlich könnte ich den Zehner mit Respekt behandeln, ist ja nicht meiner. Natürlich könnte ich das Vertrauen meines Ausbilders rechtfertigen. Aber hab ich nicht in der Frühstückszeitung vom Opa gelesen, dass das eine Kunst ist? Kann ich, gerade mal am Anfang meiner Ausbildung, diese Kunst schon beherrschen? Eigentlich nicht; nachher hält man mich noch für einen Streber. Das Beste wird sein, ich nehme den Zehner – ist ja nicht viel – und gehe mir erst mal ein Bier trinken.”

Wie auch immer es dazu kommen konnte (zu Beginn des zweiten Lehrjahres gab es einen Hunderter, zu Beginn des dritten einen Tausender) – nach ein paar Jahren findet sich unser Lehrling im Vorstand der Bank wieder. Diesmal ist es kein Ausbilder, der ihm Geld in die Hand drückt – es sind Millionen von Anlegern: „Hier hast du 50 Milliarden. Geh und bewahr die für mich auf. Oder mach was draus.”

„Hm”, denkt das Vorstandsmitglied …


’ne schöne Jrooß - Rich