1970-72
Permanente schöpferische Arbeit an der ziemlich einzigartigen mhagara -Musik (im Nachhinein kann man, glaube ich, ruhigen Gewissens behaupten, dass diese Band, mit ihrer wilden Mischung aus Rock-, Blues-, Jazz- und Weltmusik-Einflüssen ihrer Zeit um mindestens zwanzig Jahre voraus war).
Gefeierte Konzerte, u.a. auf Ingo Kümmel´s erstem Neumarkt der Künste.
Aber: Kein Plattenvertrag – „Kommerziell uninteressant“, sagt z.B. Produzent Dieter Diercks. „Und Jethro Tull gibt´s ja schon!“ (weil Wollie Kaiser Querflöte spielte – was dieser möglicherweise zum Anlass nahm, Saxophon zu lernen). Womit Herr Diercks sich allerdings eindeutig damals schon die Scorpions verdient hat.
Etliche Überwasserhaltungsnebenjobs, u.a. als Bauarbeiter, Mülltonnenschweißer, Gabelstaplerkaputtfahrer, Lagerarbeiter, Kitschverkäufer, Haschischhändler. Oder Verkehrszähler an diversen Kölner Straßenkreuzungen. Auch ein Semester an der Rheinischen Musikschule bringt die Karriere nicht wirklich weiter.
Auflösungserscheinungen – Nichterfolg ätzt …
In Frankfurt zündet dann auch Stufe II des Promotion-Plans: Eine Gruppe heftig bewegter Frauen lässt sich beim Konzert im passenderweise Harmonie genannten Kino von Liedern wie Miss Trend, dem Schwulenwalzer und der Farbe des Bandbusses (maisgelb mit schokobrauner Aufschrift) dazu inspirieren, erst den Abbruch des Auftritts zu erzwingen, dann den Bus über und über mit Schokolade-Schriftzügen zu beschmieren (CHAUVI-SCHWEINE!, SCHWANZ AB!, NEUE MÄNNER BRAUCHT DAS LAND! – ohne Schwanz, Mädels …?!?) und schließlich in der nächsten Ausgabe vom Pflasterstand seitenlang über die sexistischen Arschlöcher aus Köln herzuziehen.
Danke für die Werbung, Mädels!
1973
Leider bleibt´s beim Plänemachen – exzessiver Konsum von südländischen Kräutern und einheimischen Getränken fordert seinen Tribut und steht dem Umsetzen von Plänen massiv im Weg.
Muss man für die Miete eben arbeiten gehen – als Isolierer z. B. Und abends auch nach zwei Duschgängen noch Glaswolle aus dem elftletzten Bier fischen …
Eiliff, 1972-74
Besetzung 1:
Houschäng Nejadepour - gui, sitar
Herbert "Att" Kalveram - sax
Rich Schwab - b
Detlev Landmann - dr
Besetzung 2:
Herbert Kalveram - sax
Alex Sputh - gui
Georg Gräwe - keys
Ulrich Stollenwerk – keys
Rich Schwab - b
Detlev Landmann - dr
Besetzung 3:
Herbert Kalveram - sax
Wollie Kaiser - sax, fl
Friedrich Kullmann - sax
Heiner Wiberny - sax
Rich Schwab - b
Detlev Landmann - dr
Von wegen: Haus bauen, Sohn zeugen, Baum pflanzen … Am 17. Oktober kommt Elise Schwab zur Welt. Hurra!
Was braucht man Söhne, wenn man solche Töchter hat!
1974
Bei einem der oben genannten Biere kommt man mit Horst Mittmann ins Gespräch. Den kennt man schon vom Gymnasium her, als Schlagzeuger des lustigen Madame Made Orchestra. (Deren Bassist wiederum ein gewisser Johannes Schulte-Ontrop war, den wir später bei den Höhnern wiedertreffen können. Wo er dann u.a. Schwabs Texte singt …).
Horst Mittmann erzählt jedenfalls, dass er inzwischen in Baden-Baden trommelt – Jazz-Rock bei Brainstorm.
Deren Bassistenposition sei gerade neu zu besetzen – ob der Schwab, in Kollegenkreisen seit mhagara als "Altmeister" bekannt, nicht Lust habe, mal auf eine Probe-Session vorbei zu kommen?
Klar doch.
Drei Tage später beschließen Roland Schaeffer, sax, gui, vox, Mittmann, dr, und graue Eminenz und Wohngenosse Christian Wagner (damals gerade mit dem Erfinden des Rockpalast beschäftigt), dass Schwabs Spielweise, Erfahrung, Charakter & Humor Brainstorm nur gut tun können.
Also werden wieder mal die Koffer gepackt – tschüs, Kölle, hallo, Baden-Baden.
Als Gitarristen holt man sich – ebenfalls aus Köln – Dieter Wichterich hinzu, der aber leider ein mentales Problem mit bewusstseinserweiternden Substanzen zu haben scheint und nach wenigen Wochen durch den kölschen Griechen Vassilios Nikitakis ersetzt wird. Der teilt sich dann mit Schwab auch die schöne Wohnung unterm Dach, gleich um die Ecke vom Spielcasino. Leider haben beide das nie von innen gesehen.
Oder zum Glück …?
Brainstorm, 1974-76
Besetzung 1:
Roland Schaeffer - sax, fl, gui, vox
Dieter Wichterich - gui
Rich Schwab - b, vox, perc
Horst Mittmann – dr
Besetzung 2:
wie oben, aber:
Vassilios Nikitakis - gui
Brainstorm tourt fleißig von Berlin bis Amsterdam und von Hamburg bis Konstanz, komponiert massenhaft frisches Material und macht sogar Musik für die Sendung mit der Maus, aber einen Plattenvertrag bringt ihnen das auch nicht ein. Daher auch immer weniger Gigs. Und daher:
1975
Tschüs, Baden-Baden, tschüs, Lio – zurück in die Heimatstadt.
Dort hat inzwischen auch Ex-Eiliff Detlef Landmann einsehen müssen, dass man mit Trommeln nur einen bedingt aufwendigen Lebenswandel finanzieren kann – und sich mit Ulrich Hundt zusammengetan, einem Kölner Underground-Dichter (“Gib mir deine Tripperspritze“), der es wiederum leid war, für andere Wirte Kneipen zu putzen und Bier durch die Gegend zu schleppen. Gemeinsam machen die beiden im „Kwartier Latäng“ das Daddy´s Madhouse auf – ein Schuppen, den man sich am besten vorstellen kann, wenn man in Schwabs erstem Roman Nie wieder Apfelkorn die Kapitel über den Schrebergarten liest. (Okay - wenn man schon dabei ist, kann es auch Spaß machen, gleich das ganze Buch zu lesen …).
Da die Wirte schon nach einem halben Jahr Differenzen und dadurch die Lust verloren haben, selber hinter der Theke zu stehen, suchen sie einen vertrauenswürdigen Kollegen, den sie ihren Laden schmeißen lassen können.
Braucht der Schwab nicht dringend einen Job?
Braucht er.
Also lernt er, Bier zu zapfen, Apfelkorn zu mischen und Randalierer vor die Tür zu setzen, und kann sich plötzlich eine eigene Wohnung in der Südstadt leisten.
Na gut – eine Viertel-Wohnung – danke, Chin, danke, Rainer, danke, Jochem!
Wie´s im Madhouse sonst so zuging, mag folgende kleine Anekdote verdeutlichen:
An einem brütend heißen Tag Mitte August kommt Schwab vom Apfelkorn-Mischen aus der Küche und hat Rock´n´Rollmops Zeltinger auf der Theke sitzen – mit hochgekrempelten Hosen, die nackten Füße im Gläserspülbecken. Auf Schwabs höfliches Nachfragen nach Sinn und Zweck dieser Übung („Hast du ´n Rad ab, du Penner?“) erklärt Hausrhetoriker Frank Ott, der Kollege Zeltinger habe ein Herzproblem – man beuge, die Füße kühlend, nur einem Infarkt vor; außerdem habe man Durst – ob Herr Schwab nicht seinen gastronomischen Pflichten obliegen wolle? Man werde auch heute alle Getränke zahlen – allerdings nur die von heute, der Deckel von vorgestern müsse sich noch gedulden.
Nachdem Gastronomie-Facharbeiter und Geduldsengel Schwab freundlich erklärt hat, dass sowohl Herr Ott als auch Herr Zeltinger ihn kreuzweise könnten und heute nicht ein einziges Bier für sie über die Theke ginge, wenn nicht mindestens die Deckel von letzter und vorletzter Woche bezahlt würden, beginnt ein junger Vize-Schauspieler, der sich bis dahin bescheiden im Hintergrund gehalten hatte (nicht zuletzt, weil er sich an einer Flasche Osborne gütlich tat, die plötzlich im Madhouse-Schnapsregal fehlte), unter grölendem Protest Frisbee mit Aschenbechern zu spielen.
„Womit deine Tage hier gezählt wären, Heiner“, erklärt der Altmeister und räumt fröhlich ein wenig seinen Arbeitsplatz auf, begleitet von der Internationale, wiederholt, vielstimmig und lautstark vorgetragen von der gerade ihren Stimmungspegel justierenden Betriebsversammlung des SSK (nein, nicht Stadtsparkasse – das ist die Abkürzung für irgendwas Sozialistisches!) und nur gelegentlich unterbrochen von ein paar Typen, die im Hinterzimmer versuchen, mit einem Wagenheber die Kasse des Billardtischs aufzuhebeln, und einer jungen Frau, die sich stückweise ihrer Garderobe entledigt und in vier verschiedenen Tonarten behauptet, Bäume seien ihre Freunde.
Dass derweil die ganze Zeit in einer Endlosschleife Frank Zappa She had a snake for a pet and an amul- singt, weil die Platte einen Sprung hat und niemand da ist, sie umzudrehen, weil der liebe Kollege Jochem mal wieder „kurz zwecks Konkurrenzbeobachtung unterwegs“ ist, macht das Bild nicht unrunder.
Ach ja - Golden Years …
Zurück zur Kultur.
Stammgäste im Madhouse sind u.a. übrigens vier langhaarige Gestalten, die gerade ihr Abitur gemacht haben und zu literweise Apfelkorn vierstimmig und lautstark jede Stones-, jede Zappa- und jede Dr. Hook- Platte auswendig mitsingen – ihre Band heißt Zarah Zylinder, der Sänger heißt Gerd Köster, und Frank Hocker ist der Gitarrist (wer sonst?) …
1972
Bei einem Festival im Kölner Tanzbrunnen lernt Schwab die Kraut-Jazz-Rock-Band Eiliff kennen. Die suchen einen neuen Bassisten.
Und Houschäng Nejadepur, gui, Rainer Brüninghaus, keys, Herbert „Att“ Kalveram, sax, und Detlev Landmann, dr. haben viel mehr Auftritte als mhagara. Einen eigenen Bandbus!
Und ein größeres Haus im feineren Kölner Vorort Rath am schönen Königsforst!
Na dann …
Tschüs, mhagara, tschüs Gartenhäuschen.
Leider nimmt Brüninghaus zwar kurz darauf ein Angebot von Volker Kriegel an, aber Eiliff funktioniert mit dem neuen Bassisten erst mal ganz gut - Konzerte, Festivals, Fernsehen, produktive Arbeit an neuem Material, Pläne für ein neues Album …
1975
Da manche Madhouse-Abende ein bisschen anstrengender sind als der geschilderte, verbringt Schwab zum Ausgleich viel Freizeit mit Günter Hoffmann, einem Singer/Songwriter, der lange glaubt, er sei James Taylor, bis er in Sounds lesen muss, dass es den schon gibt. Woraufhin er beschließt, ab sofort in seiner Muttersprache zu dichten und eine Rockband mit deutschen Texten zu gründen – damals durchaus noch ein Wagnis (s. auch Ihre Kinder, Floh de Cologne oder Udo Lindenberg).
Zwischendurch, und erst recht nach dem endgültigen Zusammenbruch des Madhouse, arbeitet der Altmeister als Barkeeper in der Brennessel in Köln. Dort organisiert er auch ein Jahr lang die berühmten monatlichen Rich Sessions mit der „Creme der rheinischen Musikszene“ (Kölner Stadt-Anzeiger).
Brainstorm hat sich nach dem Weggang von Roland Schaeffer zu Guru Guru praktischerweise komplett aufgelöst, also greifen Hoffmann und Schwab auf die bewährten Fähigkeiten von Horst Mittmann zurück, finden in einem alten Kerpener Bahnhof den Pianisten Didi Maaz und gründen Hoffmann – nicht ohne auch mal wieder Gerty Beracz zu involvieren; schließlich kann der nicht nur Gitarre spielen und singen, sondern verfügt auch immer noch über den alten mhagara-Proberaum.
Hoffmann, 1976
Besetzung 1:
Günther Hoffmann - gui, vox
Gerty Beracz - gui, vox
Didi Maaz - p
Rich Schwab - b, vox
Fritz Wittek - dr
Besetzung 2:
wie oben, aber:
Horst Mittmann - dr.
1976
Leider beschließt Schwab in diesem Jahr nach einer viertägigen Tour durch Kölns Bier- und Apfelkorn-Sortiment und der daraus resultierenden Alkohol- und Nikotinvergiftung, sein Leben zu ändern – und stellt abrupt Rauchen und Trinken ein. Beginnt sogar kilometerweit zu schwimmen, um Sportplätze herum zu rennen und schneller als 12 km/h radzufahren. Das hat dann doch einen arg negativen Einfluss auf seine seelische Ausgeglichenheit, kollidiert erheblich mit Günter Hoffmanns Hang zu Exzessen und führt zu dessen Verabschiedung aus seiner eigenen Band.
Schwab hat aber seine Trockenphase durchaus auch kreativ genutzt und sieht nicht nur ganz schön gesund aus (s. Foto rechts), sondern hat auch einen ganzen Haufen Songs geschrieben (von denen wir einen Teil demnächst wiederhören werden – s. bio 1980) – Hoffmann benennt sich um in Schroeder, nach dem Klavierspieler aus der Comic-Serie Peanuts (Lucy: „Wie schaffst du´s nur, so tolle Musik zu spielen, wo doch die schwarzen Tasten nur aufgemalt sind?“ Schroeder:„Üben, Lucy, üben.“).
Eben. Also weiter proben. Ab und zu ein Auftritt.
Schroeder, 1976 (leider ohne Foto)
Gerty Beracz - gui, vox
Didi Maaz - p
Rich Schwab - b, vox
Horst Mittmann - dr
1978, immer noch
Die zahlreicher werdenden Auftritte verlangen nach musikalischer und personeller Aufrüstung. Auf einem Schlamm-und-Chillum-Festival im Hunsrück treffen Schroederchens zwischen zwei Scharmützeln mit ein paar Moped-Rockern auf ein paar potente Kollegen – und machen ihnen ein Angebot, das sie nicht ablehnen können.
Die Bussin wird mit neuen Verstärkern vollgepackt, und mit ein paar frischen Hundt-Songs wird Deutschland, Deutschland von neuem aufgerollt. Songs wie Anarchie in Germoney z.B., Schrei dich frei oder – eben – Wieder unterwegs …
Aber selbst der Altmeister muss zugeben, dass deutschsprachige Liebeslieder mit Jazz-Rock-Arrangements arg wenig Hunde hinter dem Ofen hervorlocken. Und als dank einer heftigen Liebesgeschichte mit einer Heroinabhängigen seine Nerven der Abstinenz endgültig nicht mehr gewachsen sind, findet er schließlich, dass das in Wahrheit sogar ziemlich langweilig ist: Kein Alkohol ist auch keine Lösung …
Er findet aber auch Uli Hundt wieder, der gerade beschlossen hat, ein paar seiner Gedichte zu vertonen und auf der Suche nach einer Band ist, die in der Lage und willens ist, diese Vertonungen in ihr Repertoire aufzunehmen und irgendwann vielleicht sogar öffentlich vorzutragen.
Die Proben verlaufen recht vielversprechend – aber Hundt und Schwab sind sich in zumindest einem Punkt einig: Liedermacher-Auftritte, mögen sie noch so laut sein, törnen nicht wirklich.
Da schleppt eine (neue alte) Freundin Schwabs die beiden in ein Kölner Programmkino, wo Jango Edwards & Friends Roadshow einen Auftritt haben (danke, R.! - i. L., R.) – nach zwei zwerchfellerschütternden Stunden wissen Hundt und Schwab, was ihrem Konzept bisher gefehlt hatte: anarchischer Humor, deftige Show und Respekt vor nichts und niemandem, also noch weniger, als sie eh schon hatten, und action auf der Bühne.
Ca. fünfundvierzig Bier später ist die Schroeder Roadshow geboren.
Schroeder Roadshow, 1976-83
Besetzung 1:
Uli Hundt - vox, gui
Gerty Beacz - gui, vox
Wolfgang Büscher - gui
Rich Schwab - b, vox
Horst Mittmann - dr
Besetzung 2:
Uli Hundt - vox, gui
Gerty Beracz - gui, vox
Didi Maaz - p
Rich Schwab - b, vox
Richard Herten - dr
1977
Das Leben steckt voller Teufelskreise – mach´ ich dies, muss ich auch das machen, worauf jenes folgen muss, weswegen ich was anderes nicht tun kann … Im Falle (nicht nur der) Schroeder Roadshow heißt das: Wir müssen auf Tour gehen, damit wir Geld für eine Plattenproduktion verdienen, weil wir eine Platte brauchen, um auf Tour gehen zu können. Schon in diesem frühen Stadium ist aber klar: Plattenindustrie? Nein, danke. Nicht nur, weil die Typen, die dort arbeiten, vielleicht gelegentlich Ahnung vom Verkaufen, aber höchst selten Ahnung von Rock´n´Roll haben, sondern auch, weil die Ausschlag kriegen, wenn sie unsere Texte lesen.
Also tun wir das, was wir als alte Kneipengänger am besten können – wir machen einfach einen Deckel. Pumpen uns ein paar Tausender zusammen und gehen in ein Studio. Produzent? Brauchen wir nicht - wie unsere Platte klingen muss, wissen wir selber, schon von den Platten aus dem Madhouse … Und sollte es uns noch an Studioerfahrung fehlen – so what, wir gehen doch jetzt in ein Studio! Erfahrungen sammeln!
Horst Mittmann möchte lieber nur Geld verdienen, verlässt die Band und macht den Schlagzeughocker frei für Richard Herten aus Langerwehe, der wiederum lieber mehr Erfahrungen sammeln möchte, weil ihm sein Studium als klassischer Schlagwerker in Aachen ein wenig zu dröge geworden ist.
(Anmerkung: He, Jungs! Wenn irgendjemand von Euch der Meinung ist, meine Erinnerungen würden nicht immer und nicht ganz mit den Euren oder gar der Realität übereinstimmen – kann mich überhaupt nicht wundern! Lasse mich aber gerne korrigieren bzw. bin nur zu bereit, hier (oder hier?! – nein, vielleicht besser hier) Alternativ-Versionen einzurücken!)
Es gibt etliche Tonstudios in Köln, einige davon haben sogar einen guten Ruf. Aber der kostet. Gut, dass Richard Herten da diese kleine 8-Spur-Klitsche in Aachen kennt (acht Spuren erscheinen einem viel, wenn man an das alte Grundig-Gerät denkt, das in unserem Proberaum steht …).
Und schon hocken wir im obersten Stock einer alten Fabrik in Aachens Innenstadt, Studiobesitzer Reiner Rutow schickt uns ein freundliches „Band läuft!“ in die Kopfhörer und Richard Herten zählt vor:
„Eins, zwo, drei, vier …“
Schade, dass wir als erstes einen Walzer aufnehmen, Richard … ;-)
Aber die Maschine rollt, die Studioarbeit macht Spaß, gelegentlich kommen und gehen ein paar Gastmusiker, und innerhalb von vierzehn Tagen nimmt ein ganzes Album Form an.
Und während man – Deutschland im Herbst – im Radio hören kann, dass es ein paar Leuten im Hochsicherheitstrakt von Stammheim, in den man eigentlich nicht mal eine Nagelfeile oder einen Stielkamm schmuggeln können sollte, gelungen ist, sich selbst ins Genick zu schießen, nehmen wir grimmig Lieder auf wie Die Bullen schlagen wieder zu oder unsere Version vom Deutschlandlied.
Das verträgt sich nun wieder weder mit den künstlerischen Ambitionen noch dem politischen Engagement von Didi Maaz – adios, amigo; und nach ein paar Wochen ist es im Deutschen Herbst nur noch ein Fähnlein von vier Aufrechten, das mit Auf freiem Fuß unterm Arm die Kölner Plattenläden, Musikkneipen und Radioredakteure abklappert:
1978
Heute Deutschland und morgen die ganze Welt … Ohne die Unterstützung von Krupp, Thyssen, Flick etc. leichter gesagt als getan – beim ersten Schroeder Roadshow-Auftritt des Jahres im Kölner Nonni-Club tobt zwar der ganze Saal vor Begeisterung, aber selbst 34 Tobende sind nur (maximal) 24 Zahlende – niederschmetternd.
Darüber kann selbst das Vergnügen daran, dass ein bekannter Kölner Toningenieur aus Bierkrügen trinkt, in die die Musiker während des dreieinhalbstündigen Auftritts in ihrer Not ihr Wasser abgeschlagen haben, nur bedingt hinwegtrösten.
Das größte Problem ist natürlich, dass man mit den ca. 170 Alben, die in Kölner Plattenläden herumstehen, weder die Welt noch die Charts so einfach erobern kann (mal ganz abgesehen von den restlichen 830 Platten in den Kartons im Proberaum).
Krisensitzung.
Nach der 100 von den Platten in ganz Deutschland herumgeschickt werden, um an mehr Auftritte bundesweit zu kommen – Köln ha´m wir ja schon in der Tasche (s. Nonni-Club).
Das führt überraschenderweise dazu, dass man plötzlich gezwungen ist, sich einen alten Opel Blitz anzuschaffen (den man übrigens günstig gebraucht bekommt, weil er aus dem Brainstorm-Nachlas stammt – ja, die Welt ist klein …), weil man unverhofft Engagements in Bielefeld, Bremen, Ingolstadt, Rüsselsheim und Darmstadt hat. Horrem! Böblingen!! Ingendingenhingen!!!
Und der alte Wagen rollt und rollt und rollt und rollt und rollt …
Schroeder Roadshow, 1976-83
Besetzung 3:
Uli Hundt - vox, gui
Gerd Beracz - gui, vox
Manni Hollaender - gui, vox
Rich Schwab - b, vox
Richard Herten - dr
And the beat goes on on on on on on on on on on on …
Dieser Eklat führt zwar erst mal dazu, dass Manni Hollaender, Gitarre spielender Bruder von Richard Herten, kurzfristig für die Tour engagiert, damit Uli Hundt endlich seine Gitarre zu Hause lassen muss, seine Kündigung einreicht (wofür er als Belohnung allerdings später mit Ina Deter … ;-)), führt aber natürlich auch dazu, dass man deutschlandweit anfängt, über die „Skandalband“ zu reden.
Was wiederum dazu führt, dass noch mehr Auftrittsangebote ins Haus flattern und der mittlerweile „die Bussin“ genannte Opel Blitz noch exzessiver durch die Gegend fährt – bis zum nächsten Regenguss auch noch schön mit der Frankfurter Damen-Poesie dekoriert.
Apropos Haus – wir schreiben immer noch die 70er Jahre – Aufbruchstimmung. Alternative Lebensentwürfe. Autonomie. Autarkie. Anarchie.
Nach monatelanger Überzeugungsarbeit gelingt es den Schroederchens, auch Frauen und Kinder für das Projekt „Gemeinsam Leben & Arbeiten“ zu erwärmen, und nach ein paar weiteren Monaten der Sucherei finden sie in Vicht am Rand der Eifel ein Haus, das für ihre Zwecke optimal geeignet scheint.
Einigermaßen erschwingliche vierzehn Zimmer, ein Hof mit genügend großer Toreinfahrt – und im ersten Stock ein Saal für ca. 200 Personen! Mit ´ner richtigen Bühne! Unsere eigene Bühne!! Wenn wir auftreten wollen, sind wir also nicht mal mehr auf andere Veranstalter angewiesen …!
Da fühlen sich sogar unsere Kinder wohl – die lernen ja auch was fürs Leben, wenn sie dem Papa bei der Arbeit zusehen können …
Wo der Haken is´?
Na ja – das Haus wird vermietet von einer Brauerei, und Bestandteil des Mietvertrags ist, dass die Kneipe im Erdgeschoss ordentlich betrieben werden muss …
Na und? Das können ein paar von uns doch schon! Und – schwupps! – heißt die Kneipe Schroeder´s Rockpalast, zur rauschenden und unvergessenen Eröffnungsfeier reisen Hunderte von Menschen sogar aus Köln und London an, und nach ein paar Wochen feucht-fröhlicher Einweihung und ein paar Tagen halbtrockener Einarbeitung gehen die Jungs wieder auf Tour, während die Mädels WG und Laden schmeißen und sich liebevoll um die Aufklärung der Landjugend kümmern.
Keine Atempause / Geschichte wird gemacht / Es geht voran …
Besetzung 4:
Uli Hundt - vox, Gerty Beracz - gui, vox, Mick Gebhardt - gui
Jesus Canneloni - sax, Rich Schwab - b, vox, Richard Herten - dr
…nach Bayern zum Beispiel.
Dort sitzt in München ein hübscher junger Zivildienstleister Däumchen drehend in irgendeinem Büro und fragt sich, ob er eine berufliche Zukunft beim alternativen Trikont-Verlag (Bücher und Schallplatten) hat. Abends geht er schon mal auf Konzerte. Und fährt voll auf diese Chaos-Kapelle aus Kölle ab.
Geht nach dem Gig in die Garderobe, trinkt mit den Jungs ein halbes Bier und stellt sich vor:
„Pfundig, Jungs! I bin der HaGe. HaGe Hein. Habt´s ihr scho´ an Manager?“ Haben sie nicht.
„Hast du ´ne Schwester?“ fragt Schwab, der die Aufgaben eines Managers seit zwei Jahren mehr oder weniger am Hals hat, so schlagfertig wie diplomatisch zurück. Hat er tatsächlich. Und was für eine (griaß di, Vronerl!).
Na, dann.
Und schon werden in dem komischen Büro keine Däumchen mehr gedreht, sondern Schroeder-Gigs gebucht. Und wo wir schon einen Fuß in der Trikont-Tür haben, machen wir mit denen doch gleich einen Plattenvertrag.
Haben wir doch alles, was wir brauchen.
Leider aber erst mal keinen Sänger mehr.
Mag´s damit zusammenhängen, dass Herr Hundt mit Abstand der Älteste in dem Verein ist – die ersten Zipperlein stellen sich ein: trotz allen Durchspülens mit Deutschlands besten Biersorten wollen die Nieren nicht mehr so, wie sie sollen.
Schmerzhafte Angelegenheit.
Schonung ist angesagt.
Daheimbleiben.
Auskurieren.
Scheiße.
Denn Deutschlands Bühnen rufen.
Die Fans wollen Schroeder sehen. Schroeder-Songs hören.
Und die wunderbaren Parodien auf all die seltsamen Schroeder-Kollegen – Maffay, Lindenberg, Jagger, Cocker …
War in Köln und Umgebung kein Problem, gab´s da doch diesen jungen Altenpfleger, Gerd Köster, der die Nummern alle so prima auf´m Zettel hatte (Ihr erinnert euch – man kannte sich bereits aus Daddy´s Madhouse …).
Zwar musste kurz das Dilemma gelöst werden, ob man einen angehenden Altenpfleger nicht besser zur Pflege von Herrn Hundt … – aber der Rock´n´Roll siegte. Herr Köster wurde gebeten, sich zu überlegen, ob er den Posten am Mikro nicht gleich ganz, zumindest vertretungsweise für ein paar Wochen …
„Lass dir ruhig Zeit mit der Entscheidung – es reicht, wenn du uns morgen Abend Bescheid sagst. Die Tour beginnt erst in drei Tagen.“ (Herrn Kösters Version der Angelegenheit gibt´s übrigens auf seiner Website – siehe meine Netzwerk-Seite).
Na ja, was gibt´s da groß zu überlegen. Hier Bettpfannen und neunzigjährige Witwen, da PA-Boxen und junge Mädels – am nächsten Tag steht Köster im Schroeder-Proberaum. Und schafft sich doch tatsächlich innerhalb von zwei Tagen und Nächten das ganze verdammte Repertoire drauf …! (Hut ab, Jungchen!).
Schlafsack und Zahnbürste hat er auch dabei – ´s kann losgehn.
Es geht los.
Spielen, spielen, spielen.
Besetzung 5:
Gerd Köster - vox
Gerty Beracz - gui, vox
Mick Vaporub - gui
Jesus Canneloni - sax
Rich Schwab - b, vox
Richard Herten - dr
Wochenlang jeden Abend in diesem lustigen Kleinkunst-Laden in München-Haidhausen z.B., der Drehleier, und während Songschreiber Hundt sich zu Hause von seinem Nierenleiden erholt und sich neue Lieder aus den Fingern saugt (oder war es umgekehrt?), entwickeln die Jungs an der Bühnenfront Abend für Abend eine Show, die sich gewaschen hat. Bzw. Nacht für Nacht, bei der einen oder anderen gemütlichen Runde. Oder an verkaterten Nachmittagen, bei Fritten, Hoiben und Kräutern, wenn vor allem Köster und Schwab vor den offenen Mündern von Gyrosbrätern neue Showteile aushecken und natürlich gleich proben. Mit anschließender Tour durch Münchens Second-Hand-Läden, zur Aufstockung passend bescheuerter Bühnengarderobe.
Und abends wieder in die Drehleier. Gute Schule für all die Gigs, die noch folgen sollen, und gutes Training für die nächste Platte, die im Herbst in Köln aufgenommen wird.
Auch für die braucht man nicht länger als 14 Tage, aber der kann man schon anhören, dass die Band aus den Erfahrungen und Fehlern der ersten Produktion gelernt hat – Anarchie in Germoney klingt durchaus passabel. Ihr Sahnehäubchen kriegt die Platte durch das wundervolle, kongeniale Cover des wahnsinnigen Comic-Zeichners K. H. Schrörs – der auch das vierfarbige Tourplakat zur elfmonatigen wieder unterwegs-Tour zeichnet. Das so geil ist, dass es in keine Stadt länger als ein paar Stunden hängen bleibt – neben dem obligaten Che-Guevara-Plakat und ein paar Indianer-Postern ist es wohl das meistvertretene Poster in Deutschlands WG-Küchen, -Klos und -Dielen.
Apropos WGs – im Tourvertrag der Schroeders steht unter dem Paragraphen „Unterbringung“:
Kein Hotel – der Veranstalter verpflichtet sich, die Musiker in Wohngemeinschaften und sonstigen Privatunterkünften unterzubringen …
Wenn ich allerdings jetzt anfinge, hier all die Anekdoten zu erzählen, die das nach sich zog, säße ich noch bis Weihnachten an dieser Seite, (fragt sich nur, welchen Jahres). (Es sei aber in dem Zusammenhang erlaubt, noch mal kurz auf meine Bücher, besonders die Büb-Klütsch-Romane hinzuweisen…)
Hier vielleicht stellvertretend nur ein Gruß, ein paar Küsse und ein herzliches Dankeschön an, in neutraler alphabetischer Reihenfolge: Anna, Bettina, Corinna, Dörthe, Eva, Friederike, Gerhild, Hellja, Ina, Janine, Karin, Lieselotte, Marianne, Nathalie, Olga, Pia, Quasseline, Rosi, Sabine, Thekla, Uschi, Vroni, Waltraud, Xaver, Yasmin und Zenzi. Ohne Euch hätt´s nicht halb so viel Spaß gemacht, mit den Arschgeigen 1.390.000,5 Kilometer im Bus rumzusitzen …!
Wie: Ich schweife ab …!?
NATÜRLICH SCHWEIFE ICH AB! WOZU HAB´ ICH DENN DIE SCHEISS-WEBSITE?!?!
Aber okay.
Fassen wir uns kürzer.
1979
Dank HaGe, einer guten Platte, einem tollen Tourplakat und der Devise 1. Wir spielen überall, wo es eine Steckdose gibt, 2. Egal, ob da unten tausend, hundert oder nur vierzehn Leute stehen (hallo, Landshut!) – wir spielen den Laden an die Erde! geht in diesem Jahr die Post ab. Highlights sind u.a. ein Auftritt im Treppenhaus einer katholisch-bayrischen Universität, deren Leitung uns die eigentlich für das Konzert vorgesehene Aula in letzter Minute verweigerte, nachdem sie erfahren hatte, dass in einem unserer Songs der Papst mit Muhammad Ali boxt (oder knutscht. Oder so ähnlich); das cRock gegen Rechts -Festival in Frankfurt (Grüße an Herrn Dr. Dr.!) und natürlich das Umsonst & Draußen-Festival in Vlotho – diese drei Gigs alleine bescheren uns schon über 160.000 Zuschauer und -hörer. Und -innen, natürlich.
Eigentlich schade, dass nicht jeder von denen eine Platte gekauft hat.
Oder wenigstens jede.
Na ja – noch nicht. Kann ja vielleicht noch werden.
Auch erinnert man sich gerne an die Rote Fabrik in Zürich, wo man keinen Eintritt nahm, sondern nach dem Auftritt im zum Platzen gefüllten Laden einen Hut herumgehen ließ, was den Schroederchens die höchste Gage des Jahres einbrachte. Oder an die Gigs im Wilden Huhn in – eh … - Braunschweig? (Nein, dank Deggedieh wissen wir nun, dass es Salzgitter war – mercí!).
Oder im Bluespunkt in Oberdorfen, den wir beim ersten Mal erst gefunden haben, nachdem wir schon ein paar Oberdorfs, Oberndorfs, Oberstdorfs und Oberdorfens abgefahren hatten – aber zweihundertfuffzig Leutchen saßen brav um elf Uhr abends noch da und warteten auf uns und halfen mit beim Ausladen und Aufbauen und sorgten mit ihrer Bombenstimmung (und ein paar Fässern Bier) für eine der herrlichsten Nächte des an herrlichen Nächten eigentlich nicht gerade armen Jahres.
Beim Thema herrliche Nächte möchten wir selbstverständlich auch all die Wirte nicht vergessen, die uns vor, während und besonders nach den Konzerten das Leben verschönert haben – stellvertretend grüße ich hier Bodo Palm, wo immer er nun sein mag, SchuPi & Nati und Clemens Böll. Dieter Zinken. Hubert „Vooorsicht an der Bahnsteigkante!“ Jägerhof. Die Jungs und Mädels vom Circus Maximus. Renate von den Drei Weisheiten. Peter …
Nein, zu Dir kommen wir noch, Hermann …!
(Zwischendurch muss man sich ja auch mal, wenigstens ein bisschen, um die Familie kümmern …)