richblog 0011: Landleben II
2011-07-23
Neulich latsche ich morgens um halb acht mit dem Hund dorfauswärts Richtung Natur, da steht, noch vor dem Dorfausgang, ein Streifenwagen mit blinkendem Blaulicht. An mir vorbei zuckeln Dutzende von Autos im Schrittempo (ich soll Schrittempo mit drei t schreiben? Ihr habt sie ja wohl nicht mehr alle!) – und das ist etwas, das ich hier wahrhaftig höchst selten erlebe. Im Gegenteil wünsche ich mir öfter, als meinem Seelenfrieden gut tut, ich sei US-Bürger und hätte also das Recht, die Ruhe vor meinem Haus mit der Schrotflinte zu verteidigen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Genau wie die für manche von Euch sicher ziemlich überraschende Information, ich sei morgens um halb acht schon unterwegs. Was – hat Euer Dorfkrug so lange auf …?! Nein, nein – die Betonung liegt auf schon: Ich bin hier draußen, zumindest im Sommer, tatsächlich zum Frühaufsteher mutiert.
Ach so – senile Bettflucht …! Oder so.
Jedenfalls denke ich: „Super – endlich mal wieder ’ne Temposünder-Kontrolle!“ Unsere Gemeinde könnte echt reicher sein als Starnberg, Bad Homburg und Potsdam zusammen, wenn die das öfter als bloß dreimal im Jahr durchziehen würden. Und ich könnte hier meine Gewaltfantasien wieder auf Normalmaß runterschrauben.
Aber es war gar keine Geschwindigkeitskontrolle – ein paar Schritte weiter sehe ich, dass hinter der Kurve ein Autochen an einem Baum klebt. Oben auf der ungefähr zwei Meter hohen Böschung. Die Motorhaube sieht aus wie zerknüllt, die Windschutzscheibe ist weg, die Fahrertür auch, und im Inneren des Wagens hängen zwei schlaffe Airbags. Und ich frage mich, wie der Fahrer es geschafft hat, noch in unserer Tempo 30-Zone, in dieser sanften, leicht ansteigenden Kurve da oben zu landen. Wahrscheinlich wieder einer von denen, die glauben, die 30 gelte für jeden Insassen, er könne also beruhigt mit 120 hier durch brettern.
„Und, überlebt?“, frage ich den uniformierten jungen Mann, der neben dem Streifenwagen steht und die auf der freien Spur kriechenden Autos durchwinkt.
„Ja“, sagt er knapp, ziemlich blass um die Nase. Na ja, ich würde meine Frühschicht auch lieber mit einem gestohlenen Fahrrad beginnen als damit, zermanschte Teenies aus zerklumpten Autos zu kratzen. Zwei Dutzend Feuerwehrleute verteilen sich ein Stück weiter auf drei Feuerwehrautos, und mit gelbem Blinklicht taucht am Horizont auch schon ein Abschleppwagen auf.
„Schade“, denke ich. Ich würde das Wrack ja da am Baum kleben lassen – hätte vielleicht mehr Wirkung als ein Tempo 30-Schild. Aber ich hab ja hier nix zu sagen.
Drei Tage später lese ich im Kurier, dass der Unfall um viertel vor sechs geschah, der Fahrer 21 war und „unter Alkoholeinfluss“ stand. Und dass er als Einziger der tatsächlich vier Insassen in die Notaufnahme gefahren werden musste. Und ich muss mich noch einmal wundern, denn dieser Meldung zufolge kam der Wagen aus der Gegenrichtung – wie hat er es dann geschafft, mit dem Kühler dorfauswärts die Böschung hoch zu kommen und an diesem Baum zu landen …?!?
Ich kenne mich mit Autos ja nicht sonderlich aus, aber vielleicht gab es in seiner Karre außer der CD mit Bushido-Arschtritten ja eine so tolle neumodische Einrichtung wie im neuen Beetle: Die Sportlichkeit, schreibt der STERN, gibt auch VW seinem Retro-Käfer vorwiegend elektronisch mit: Die 200-PS-Version, 225 km/h Spitze, hat serienmäßig einen kleinen Synthsizer, der kernige Motorgeräusche für den Innenraum produziert. Wer forsch das Gaspedal tritt, hört mit etwas Fantasie dann sogar einen Sechszylinder im Heck röhren. Wohlgemerkt nur innen. Außen bleibt es beim natürlichen Sound des Frontmotors. …
Ich fahre einen besseren Käfer und habe da drin (gegen saftigen 200-PS-Aufpreis, natürlich) einen Synthesizer, der mir vorgaukelt, ich sei der Pilot eines Ferraris …?
Und ob der Opa den Kopf schüttelt.
Aber dann fällt ihm das Fahrrad seiner Jugend ein.
Mit dem Bierdeckel an der hinteren Radgabel. Dort mit einer Wäscheklammer so befestigt, dass er an den Speichen entlang flappte und so beim Strampeln ein Knattern erzeugte, als säße man auf einem Mofa; je schneller man fuhr, desto lauter und echter klang es.
Bis die Wäscheklammer sich verabschiedete. Oder der Bierdeckel sich in Fetzen aufgelöst hatte.
Die Mädels, denen man mit diesem Knattern imponieren wollte, fanden das damals übrigens eher albern. Seinerzeit ein Grund mehr, im Gegenzug Mädels doof zu finden.
p.s.: Das letzte Mal, dass es mir gelungen ist, ein Mädel mit einem Bierdeckel zu beeindrucken, war übrigens 1982. Ich widmete mich gerade einem ausgedehnteren Frühschoppen, als – nennen wir sie Hellja – Hellja abends ihre Kollegin ablöste und die Spätschicht antrat.
„Ist das dein Deckel?“, fragte sie mich und wedelt mit einer vor lauter Bleistiftstrichen fast schwarzen Pappe vor meiner Nase herum.
„Was steht denn drauf?“
„Na, Rich.“
„Tja, dann wird es wohl meiner sein.“
„Der ist ja voll! Ich muss einen neuen anfangen. Wie lange bist du denn schon hier?“
„Keine Ahnung. Ich hab keine Uhr. Als ich reinkam, war es jedenfalls schon hell.“
„Noch hell“, korrigierte sie mich.
„Oder so.“ Dann mustert sie mich eine Weile. Stumm und verwundert. „Was?“, fragte ich.
„Hast du das alles selber getrunken?“
„Nein. Ich hab eine Runde beim Knobeln verloren.“
„Zu wievielt habt ihr denn geknobelt?“
„Zu zweit.“
Ich wünschte, ich könnte jetzt noch behaupten, ich hätte sie, als sie sechs Stunden später Feierabend machte, noch nach Hause gebracht.
Hatte ich auch vor.
Aber es kommt ja immer noch jemand zum Knobeln rein. Und als sie Feierabend machte, musste ich zum Weiterknobeln mit dem das Lokal wechseln.
Aber sie war beeindruckt, ich hab‘s genau gesehen.
Echt.
’ne schöne Jrooß - Rich